Zwei Liszt-Meisterschüler und ihr Plädoyer für die klassische Musik
SCHILLINGSFÜRST – Sie wird vor allem von älteren Menschen gehört, die einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht angehören – soweit das gängige Klischee über die klassische Musik. Das man aber auch als junger Erwachsener eine Leidenschaft für diese Musikrichtung entwickeln kann, zeigen ab Montag in Schillingsfürst die vier Meisterschüler der Liszt-Akademie. Vorab haben uns zwei von ihnen erzählt, welche Bedeutung Musik im Allgemeinen und Klassik im Besonderen für sie hat.

Jung mit einer großen Leidenschaft für die Klassik: Meisterschülerin Dina Ivanova. Fotos: privat
Dina Ivanova wurde 1994 im russischen Ryazana geboren. Sie ist Preisträgerin der gesamtrussischen Jugendwettbewerbe im Bereich Klavierspiel und wird durch Stipendien des russischen Kultusministeriums gefördert. Derzeit studiert sie am staatlichen „Tschaikowsky Conservatorium“ in Moskau. Can C¸akmur eblickte 1997 in Ankara das Licht der Welt. Seit 2010 nimmt er an verschiedenen Meisterkursen teil. Er studiert an der Hochschule Franz Liszt in Weimar, wird aber gleichzeitig in Belgien unterrichtet. Als 18-Jähriger durfte er als Solist das Istanbul Musik Festival eröffnen.
Warum haben Sie sich dafür entschieden, ausgerecht Klavier zu spielen und kein anderes Instrument? Dina Ivanova: Ich bin glücklicherweise in eine „Klavierfamilie“ hineingeboren. Meine Mutter war auch meine allererste Klavier-Lehrerin und so hatte ich als Kind keinerlei Interesse, ein anderes Instrument zu spielen. Can C¸akmur: Fast seit meiner Geburt habe ich eine Neigung zur Musik. Mit fünf Jahren wollte ich unbedingt ein Instrument spielen, am liebsten Gitarre. Die Lehrer an meiner damaligen Musikschule fanden aber meine Hände zu klein dafür und so kam ich dann zum Klavier.
Welche Musikrichtung hören Sie – abgesehen von Klassik? Ivanova: Es ist schwierig, meinen Geschmack bei nicht-klassischer Musik zu beschreiben – er hängt von meiner Stimmung ab. Ich bin aber ein großer Fan von Jazz, besonders „old-school“ Soul und Bossa Nova. Auf meiner Wiedergabeliste im Handy befinden sich aber auch viele Pop-Songs sowie die Musik zu meinen Lieblingsfilmen und -serien. C¸akmur: Ich höre 95 Prozent meiner Zeit klassische Musik. Es gibt aber auch bestimmte zeitgenössische Aufnahmen, die mir sehr am Herzen liegen, etwa Keith Jarretts „The Köln Concert“ und „The Carnegie Hall Concert“ aber auch Deep Purples „Child in Time“ und Chuck Mangiones „Children of Sanchez“.

Meisterschüler Can Cakmur
Was halten Ihre Freunde/Mitschüler von Ihrer Leidenschaft für klassische Musik? Ivanova: Seit frühester Kindheit war ich von Menschen umgeben, die auf die eine oder andere Weise selbst mit Musik zu tun hatten. Deshalb war es für sie eigentlich nie eine große Sache. C¸akmur: Ich war zwar in der Türkei auf keinem Musikgymnasium, aber ich hatte ein paar Freunde, die als Hobby Musik gemacht haben. Der Großteil meiner Freunde hatte allerdings gar nichts mit klassischer Musik zu tun. Im Laufe der Jahre hat sich ihre Einstellung dazu geändert von „Ist es nicht langweilig, stundenlang am Klavier zu sitzen?“ über „Eigentlich ist dieses Stück ziemlich schön, kannst du es wiederholen?“ bis hin zu „Ich will mehr klassische Musik hören, kannst du eine Wiedergabeliste erstellen?“. Sie waren dann äußerst offen und neugierig.
In welcher Situation/Stimmung hören Sie welche Musik? Ivanova: Ich kann mir beispielsweise nicht vorstellen mit Bus, Bahn, Auto oder Zug zu reisen, ohne dabei Musik zu hören – wie es viele Leute ja machen. Allgemein viel klassische Musik zu hören ist ein absolut natürlicher und wesentlicher Teil des Lebens als Profimusiker. C¸akmur: Ich höre ständig Musik, außer wenn mein Gehirn unbedingt Stille braucht. Für mich besteht kein Zusammenhang zwischen den Liedern, die ich höre und meiner Stimmung. Musik kann aber durchaus eine größere emotionale Wirkung haben, wenn sie dem Zustand entspricht, indem man sich befindet.
Wie könnte man Ihrer Meinung nach Kinder und Jugendliche für klassische Musik begeistern? Ivanova: Ich denke, der beste Weg ist es, ihnen zu zeigen, dass klassische Musik alles andere als „langweilig“ und „altmodisch“ ist. Je früher sie in Kontakt mit der Musik kommen, desto besser ist es. C¸akmur: Klassische Musik wird oft als notwendiges Übel empfunden. Was ich selbst mit meinen Freunden erlebt habe zeigt aber, dass klassische Musik nicht unerreichbar ist. Ich denke, das Problem ist eher wie die klassische Musikkultur gesehen wird: Konzertsäle seien Orte für alte Menschen, da stundenlang zu sitzen langweilig ist oder klassische Musik sei snobistisch. Wir müssen diese Vorurteile überwinden.
Welchen Stellenwert hat klassische Musik in Ihrem Heimatland? Ivanova: Die Entwicklung der klassischen Musikkultur ist in Russland – wie im Rest der Welt – eine wichtige Aufgabe. Da muss noch viel getan werden, besonders um nicht musische Menschen in die Konzertwelt zu locken. C¸akmur: Türkische Musik ist nicht polyphon und nicht tonal. Polyphone Musik kam mit der Annäherung an Europa im 18. und 19. Jahrhundert ins Land. Seitdem wird sie hier mit wachsendem Interesse gehört. Aufgrund des zunehmenden Konservativismus hat dies in den vergangenen Jahren aber wieder abgenommen. Konzert-, Theater- und Opernhäuser werden immer weniger vom Staat unterstützt und das Publikum nimmt aufgrund mangelnder Werbung langsam ab.
Was ist so besonders an dem Komponisten Franz Liszt? Ivanova: Liszt komponierte und arrangierte zahlreiche Stücke in unterschiedlichen Stilen. Seine Musik besteht aus so vielen verschiedenen Gattungen und Gefühlen, was auch den Zuhörern gefällt. Er gibt Pianisten die Möglichkeit, den Horizont ihrer Kunstfertigkeit zu erweitern und neue Farben auf ihrem tollen Instrument zu entdecken. Seine Musik ist interessant und inspirierend. C¸akmur: Liszt hat in seinem Leben alles geschafft, was ein Mensch schaffen kann. Die drei Kapitel seines Lebens entsprechen der Entwicklung der Moderne. Er war der Geist des 19. Jahrhunderts. Wenn man ein für diesen Zeitabschnitt typisches Werk auswählen würde, wäre das höchtswahrscheinlich von Liszt. Sein Spätstil hat die Düsterheit der Moderne schon 30 Jahre vor der Erfingung der Dodekaphonie und Atonalität in die Musik integriert. Und dazu hat er das Klavierspiel, wie wir es heute kennen, gestaltet. mes
Ab kommenden Montag kann man den vier Meisterschülern – Mariam Batsashvili musste kurzfristig absagen – bei den Meisterkurs-Unterrichtsstunden mit Leslie Howard im Schloss über die Schulter schauen: Montag, Dienstag und Donnerstag von 10 bis 13 Uhr und 16 bis 18 Uhr sowie Mittwoch und Freitag von 10 bis 13 Uhr.