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Schmuckstücke fürs Nadelkleid

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Der Christbaum von Welt trug Accessoires des Glasbläsers Johannes Wachter

SCHILLINGSFÜRST – Ganz wird er es wohl nie ablegen können: Auch heute noch informiert sich Johannes Wachter in Geschäften, wohin gerade der Trend beim Christbaumschmuck geht. Schließlich ist er ein Fachmann auf dem Gebiet, hat er doch jahrelang in einer Glasbläserei in Schillingsfürst gearbeitet und diese dann auch geleitet. Seine festlichen und farbenprächtigen Werke zierten unzählige Weihnachtsbäume im In- und Ausland.

 

Erinnerung an eigene Glasbläserei: Johannes und Selma Wachter.   Fotos: Scheuenstuhl (6)

Erinnerung an eigene Glasbläserei: Johannes und Selma Wachter. Fotos: Scheuenstuhl (6)

Mit dem fürstlichen Weihnachtsmarkt schwingt sich Schillingsfürst gerade zum Geheimtipp in der Adventszeit auf. Die „Liebesgeschichte“ zwischen der Schloss-Stadt und Weihnachten hatte bereits in den 50er Jahren ihren Anfang. Siegfried Heinkelein, der spätere Bürgermeister, gründete damals eine Firma zur Erzeugung von Glaswaren und begann in der ehemaligen Schlossküche mit der Produktion von Christbaumschmuck und Glaskugeln aller Art.

In den 60er Jahren waren dort an die 40 Leute beschäftigt, darunter auch Johannes Wachter. Über seine Schwester kam der gelernte Maler, der auch schon als Schreiner gearbeitet hat, zur Firma. Zugegebenermaßen war Glasbläser nicht sein Traumberuf. Doch es war ein „schönes Arbeiten“, erinnert sich der 71-Jährige. Zum Glück verfügte er über ein gewisses Talent und arbeitete sich relativ schnell ein. Zunächst war er für die Klöppel an den Glöckchen zuständig. Dann, nachdem ein Mitarbeiter in Ruhestand ging, wurde er mit der Fertigung der kleineren Kugeln betraut.

Ein paar Kartons mit Kugeln und drei Handwerksutensilien: Dies ist alles, was Johannes und Selma Wachter noch von ihrer Weihnachtsschmuck-Ära aufbewahrt haben – und ihre Ehe: Zwar kannten sich die beiden schon länger, doch erst durch die Arbeit Seite an Seite in der Glasbläserei verliebten sie sich ineinander. Gestern vor 48 Jahren gaben sie sich das Ja-Wort.

Man könnte annehmen, dass aufgrund der beruflichen Nähe zum Fest der Liebe, die Feiertage bei Ehepaar Wachter groß begangen werden. Doch seitdem die Kinder und nun auch die Enkel aus dem Haus sind, wird kein Weihnachtsbaum mehr aufgestellt. Und früher war dies auch eigentlich vielmehr eine Pflicht: „Die Leute kamen, um zu schauen, wie bei uns der Christbaum dekoriert ist“, erinnert sich Selma Wachter. Schließlich war man ja vom Fach und saß an der Quelle für den Schmuck. Man habe sich da besondere Mühe gegeben.

Strahlende Andenken

Auch wenn heute nicht mehr viel an seine Zeit als Glasbläser erinnert, merkt man Johannes Wachter schon den Stolz auf seine strahlenden Andenken an. Zwar haben ein paar Kugeln braune Flecken und bei manchen platzt die Silberschicht innen weg. Doch generell erkennt man noch nach immerhin mehr als 40 Jahren, dass es Qualitätsarbeit ist. Am liebs­ten mochte er Eiskugeln sowie lila, kobaltblaue, und samt-rote Kugeln. Die Farbe Opal geht für ihn jedoch überhaupt nicht auf dem Christbaum.

Ende der 60er Jahre hat er kurzzeitig bei der Glasbläserei Heinkelein aufgehört. Er wohnte damals mit seiner Frau im Schloss und fertigte dort im Keller in Heimarbeit weiterhin Glaskugeln für die Firma an. Ende des Jahres 1971 wurde Johannes Wachter von den Eigentümern der Firma gefragt, ob er diese übernehmen möchte. „Die Selbstständigkeit war schon immer mein Traum“, erklärt er. Auch seine Frau konnte er schließlich überzeugen, so dass sie mitzog und sie sich in das Abenteuer „Kristallschmuck Wachter“ stürzten.

Als Chef, der Verantwortung für zwölf Angestellte trug, hat er immer mitgearbeitet. Buchführung und Büroarbeit wurden auf das Wochenende verlegt, von Montag bis Freitag hieß es neun Stunden täglich produzieren. Ein geübter Glasbläser fertigte durchschnittlich 120 Kugeln in der Stunde. Etwa 3500 Stück konnten am Tag versilbert werden. Und Johannes Wachter muss es ja wissen, schließlich war es meistens er, der die nötige Lösung bestehend aus dem teuren Silbernitrat sowie Salpetersäure und destilliertem Wasser anrührte.

Gefühl für Arbeit

Selma Wachter bekam als Frau vom Chef keine Sonderbehandlung, sondern war, wie sie selbst sagt, eine „einfache Arbeiterin“. Ihr Mann teilte ihr einmal sogar eine andere Arbeit zu, nachdem sie beim Versilbern zu viele Glaskugeln zu Bruch gehen ließ. „Man muss schon auch ein wenig Gefühl für die Ar- beit haben“, kommentiert Johannes Wachter heute seine Entscheidung schmunzelnd.

Koordination und gewisses Talent: Johannes Wachter beim Glasblasen.

Koordination und gewisses Talent: Johannes Wachter beim Glasblasen.
BArch, B 145 Bild-F030766-0015 / Reineke, Engelbert / CC-BY-SA 3.0

Um eine Christbaumkugel herzustellen wird zunächst ein Glaskolben, auch Ampulle genannt, über einer Gasflamme erhitzt. Wenn das Glas glüht, wird geblasen und gleichzeitig schon die nächste Ampulle angewärmt. Ist die Kugel fertig – ein Metallmaß hilft den gewünschten Durchmesser zu bekommen – legt man sie zum Abkühlen auf Asbestplatten. Im nächsten Schritt werden sie versilbert. Dabei kommt ein Silbertropfen in die Kugeln und sie werden kopfüber in heißes Wasser gehalten und darin geschüttelt. Danach steckt man sie auf ein Brett, damit das Wasser abläuft. Anschließend bekommen sie ein Bad in farbigem Lack und werden wieder aufgesteckt.

Kratzer an den Fingern

Nach dem erneuten Trocknen werden mit einem speziellen Messer die überschüssigen Glasreste abgeschnitten. „Ich habe heute davon noch Kratzer an den Fingern“, sagt Selma Wachter. Zum Schluss werden die Kapseln für die Aufhänger angebracht und dann sind die Kugeln fertig zum Verpacken. Parallel werden die Kartons zusammengetackert und mit Etiketten versehen.

Kugeln über Kugeln: Ob in Kupfer oder Kobalt, die Christbaumkugeln aus der Glasbläserei Heinkelein sorgten für festliche Akzente auf unzähligen Christbäumen.

Kugeln über Kugeln: Ob in Kupfer oder Kobalt, die Christbaumkugeln aus der Glasbläserei Heinkelein sorgten für festliche Akzente auf unzähligen Christbäumen.

Die Glasbläserei in der Frankenheimer Straße verließen vor allem Kugeln, obwohl Johannes Wachter über 100 verschiedene Formen besaß. Vor allem auf die „gezuckerten“ Tannenzapfen ist er stolz, deren Form kein anderer Hersteller in der Umgebung verwendete. Aber was auf dem Christbaumschmuck-Markt gefragt war, entschieden die Händler auf der Spielwarenmesse in Nürnberg. Sie gaben ihre Wünsche an Johannes Wachter weiter, wobei die Standardfarben Rot, Gold, und Blau immer verlangt wurden.

Die Eckart-Werke in Fürth waren Johannes Wachters einziger Großabnehmer. Dieser verschickte die Christbaumkugeln von der Frankenhöhe dann weiter in Deutschland und ins Ausland, hauptsächlich in die Vereinigten Staaten. Johannes Wachter selbst belieferte kleinere Geschäfte und Drogerien etwa in Ansbach und Leutershausen, aber nicht nach Rothenburg, wohl weil es auch dort Glasbläsereien gab. Aber auch in Schillingsfürst hatte er mit der Glasbläserei Johann Bär (Neue Gasse) seit 1954 einen Konkurrenten auf dem Christbaumkugel-Markt. Allerdings hielt dieser sich ein wenig länger im Geschäft als Johannes Wachter.

Der einstige Traum von der Selbstständigkeit wich nach und nach Ernüchterung. Innerhalb nur eines Jahres verschlechterten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, so dass Johannes Wachters Glasbläserei irgendwann nicht mehr rentabel war: Gestiegene Löhne, explodierende Preise für Silbernitrat, zusätzliche Kosten für bedruckte Kartons und die Plastikeinlagen sowie die starke Konkurrenz aus Oberfranken und Ostdeutschland hätten nicht durch Investitionen in eine neue Maschine oder weitere Abnehmer im Ausland aufgefangen werden können.

„Wir wussten am Freitag noch nicht, dass wir am Montag schließen werden“, erinnert sich Selma Wachter. „Aber dann beim Blick auf den Kontoauszug“, ergänzt ihr Mann „war klar, dass es nicht mehr weiter geht.“ Die Löhne wurden noch ausgezahlt und dann das Ende eingeläutet, um sich nicht weiter zu verschulden. Nach der Schließung hat Johannes Wachter kein einziges Stück Glas mehr geblasen. Von seinen gläsernen Andenken hat er im Laufe der Zeit viele schon verschenkt. Sie sind letzte Zeugnisse der vergangenen Tradition der Christbaumschmuckherstellung in Schillingsfürst. mes


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