Marina Gröner ist die Schneiderin des Vertrauens für blondgelockte Himmelsboten
SCHILLINGSFÜRST – Blaumann, Anzug und Krawatte, Kostüm mit Schluppenbluse: In der Regel zaubert Arbeitskleidung niemandem ein Lächeln ins Gesicht. Es sei denn Marina Gröner hat Hand daran angelegt. Denn die Schneiderin versteht sich bestens darauf, ganz besondere Saisonarbeiter textil in Szene zu setzen: die Nürnberger und Schillingsfürster Christkinder.
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Das Kleid des Nürnberger Christkinds besteht aus 4,5 Metern Brokat und 12 Metern Goldlamé, die auch schon Marina Gröner am Staatstheater unter ihrer Nähmaschine hatte. Das Gewand des Schillingsfürster Christkinds hat sie selbst entworfen.
„Ja, ein Kleid hätte ich.“: Mit diesem Satz legte Marina Gröner vor sechs Jahren so etwas wie den Grundstein für eine Tradition, die sich in ihrer Geburtsstadt von Jahr zu Jahr immer größerer Beliebtheit erfreut. Als man damals überlegte den Schillingsfürster Weihnachtsmarkt anders zu gestalten, kam auch die Idee auf, ein Christkind als himmlischen Botschafter dafür einzusetzen.
Natürlich muss dieses auch entsprechend eingekleidet sein. Marina Gröner stellte ihr Kleid gerne zur Verfügung. Ursprünglich war es für die Geschäftseröffnung vom Zettlmeissl in Ansbach angefertigt worden und wurde danach von der Tochter auf der Weihnachtsfeier des TSV Schillingsfürst aufgetragen. Doch auch wenn es bereits 20 Jahre alt war, machte das Kleid immer noch mächtig Eindruck auf die Besucher des Fürstlichen Weihnachtsmarktes.
Immer mehr Zuschauer
Allerdings war das geschulte Schneiderinnen-Auge von Marina Gröner bald nicht mehr zufrieden mit ihrem Werk, zumal der Prolog des Christkinds immer mehr Zuhörer – und vor allem Zuschauer – in den Schloss-Hof lockte. Der mit gold bedruckte Stoff an den für ein Christkind so markanten Flügeln wurde mit jedem Waschen dunkler. „Es sah irgendwann eher wie ein schwarzer Engel als wie ein Christkind aus“, so Marina Gröners Eindruck. „Das konnte ich mit meiner Schneiderinnen-Ehre nicht mehr vereinbaren.“
Und so machte sie sich daran, ein neues Kleid zu nähen. Den Schnitt behielt sie zwar bei, doch durch den hochwertigen Theaterstoff, wie den Goldbrokat, erinnert das neue Gewand kaum noch an das Vorgänger-Modell. Zudem läuft man nun nicht mehr Gefahr, dass sich das Gold herauswäscht. Es wird somit einer ganzen Reihe künftiger Schillingsfürster Christkindern als würdige Arbeitskleidung dienen können.
Insgesamt 60 Arbeitsstunden flossen in die Fertigung des Kleides, da etwa die Sterne und die Borte per Hand aufgenäht werden mussten. Als Damenschneidermeisterin kennt die 58-Jährige zudem die entscheidenden Tricks: So schützt ein innen am Saum aufgenähtes Plastikband den weißen Stoff vor Verschmutzung. Und die kleine Schleppe hilft dabei zu kaschieren, wenn eines der nächsten Christkinder doch mal etwas größer als seine Vorgänger sein sollte.
„Ich bin schon stolz wenn das Christkind mein Kleid an hat“, gibt Marina Gröner offen zu – und zwar mit Recht. Optisch abgerundet wird die engelsgleiche Aufmachung mit der vom Fürstlichen Hofschlosser Volker Mahl ange-fertigten goldenen Krone. Damit beim Auftritt auch alles perfekt sitzt, hat Marina Gröner die Rolle der Christkind-Betreuerin ebenfalls mit übernommen. Ehrensache, dass das güldene Kleid in der Nebensaison auch bei ihr zuhause aufbewahrt wird.
Dort befindet sich seit Kurzem noch ein weiteres Christkind-Gewand. Denn als Abteilungsleiterin der Rückenschule und zeitweilige Zweite Vorsitzende des TSV konnte sie natürlich nicht umhin, dem Rauschgoldengel der vereinsinternen Weihnachtsfeier ebenfalls ein gebührendes Gewand auf den Leib zu schneidern. Für sie ist diese Aufgabe nicht nur bloße Fingerübung, sondern eine Herzensangelegenheit: „Ich bin glücklich wenn die Kinder das Christkind sehen und strahlen und noch träumen können“, sagt sie.
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Damit alles perfekt sitzt: Marina Gröner hilft dem Schillingsfürster Christkind beim Anziehen der Handschuhe.
Nach Lehre ans Theater
Zum ersten Mal in Kontakt mit der Fertigung himmlischer Dienstkleidung kam sie an ihrem Arbeitsplatz. Nach ihrer Lehre bei den Modewerkstätten Meyer in Rothenburg wechselte Marina Gröner 1980 gemeinsam mit einer Freundin zu den Städtischen Bühnen Nürnberg (heute Staatstheater Nürnberg), wo traditionell das Kleid für das Nürnberger Christkind geschneidert wird.
Von 1933 bis 1968 wurde es auch stets von einer dort angestellten Schauspielerin (Sofie Keeser und Irene Brunner) verkörpert. Seit 1948 kommt dem Himmelsboten die Aufgabe zu, den Nürnberger Christkindlesmarkt zu eröffnen. Jedes Christkind bekommt für seine zweijährige Amtszeit zwei eigene Kleider geschneidert – darunter ein etwas wärmeres Exemplar. Im Oktober schaut das Christkind im Staatstheater vorbei, um sich Maß nehmen zu lassen.
Es sei schon etwas Besonderes, wenn man den Anruf bekommt, „Das Christkind möchte an der Pforte abgeholt werden“, findet Marina Gröner. Danach heißt es, sich ranhalten. Das Kleid muss schließlich bis zum großen Auftritt auf der Empore der Frauenkirche fertig sein. Je nachdem welche der 25 Mitarbeiterinnen der Damenschneiderei (daneben gibt es noch drei Gewandmeisterinnen und eine Obergewandmeisterin) gerade Zeit hat, wird eine für diese Aufgabe eingeteilt. Auch Marina Gröner weiß, was es heißt, jede einzelne Biese der Flügel extra abzusteppen.
Nach insgesamt 80 Arbeitsstunden sind aus den rund 4,5 Metern Brokat und 12 Metern Goldlamé ein beeindruckendes Kleid entstanden – mit offensichtlichen und versteckten Raffinessen: Damit die goldenen Flügel nicht verrutschen wenn das Christkind seine Arme bei der segensspendenden Geste ausbreitet, sind darunter Ärmel eingenäht. Darüber hinaus wird das Ganze mittels eines Gummis über einen Finger an jeder Hand zusätzlich fixiert.
Selbst einmal Kleid anprobiert
Früher sah das Kleid noch etwas anders aus. So hatte es auf der Brust eine Tasche mit Reißverschluss, worin sich das Mikrophon befand. Marina Gröner kann sich deshalb so gut daran erinnern, weil sie es selbst einmal anhatte. Sie und ihre Kolleginnen konnten der Versuchung einfach nicht widerstehen, einmal selbst in die textile Haut des Christkinds zu schlüpfen – und schließlich schadet es nicht, sich als Schneiderin zu vergewissern, dass das Kleid angenehm sitzt. Aus Spaß haben sie dann Fotos von sich gemacht und als Postkarte an Freunde und Verwandte geschickt. So mancher soll, laut Marina Gröner, den Unterschied nicht gemerkt haben.
Sich öffentlich als Nürnberger Christkind auszugehen ist hingegen nicht gern gesehen. Der Modellentwurf des Kleides ist sogar rechtlich geschützt und darf deshalb nicht nachgenäht werden. Die Gewänder der Mädchen, die bereits im Christkind-Ruhestand sind, werden auch alle im Fundus des Staatstheaters sicher verwahrt – aber nicht aus Nostalgiegründen oder zu Dokumentationszwecken. Vielmehr geht es darum, schnell Ersatzteile bei der Hand zu haben, falls dem Himmelboten mal ein Missgeschick passiert. Wie auch bei der Anfertigung helfen in so einem Fall „alle flinken Hände zusammen“, sagt Marina Gröner.
Sie kennt aber auch das Berufsleben als „Einzelkämpferin“. Denn Ende der 80er Jahre entschloss sie sich, ein kleines Ladengeschäft mit Tischdecken und Nähmaschinen bei sich zuhause in Schillingsfürst zu eröffnen. Dadurch konnte sie für ihre beiden Kinder einfacher da sein wenn sie krank wurden. Natürlich führte sie in dieser Zeit auch Schneider- und Ausbesserungsarbeiten aus. Doch nach 16 Jahren Selbstständigkeit zog es sie im Jahr 2003 wieder an ihre frühere Wirkungsstätte.
Das Verzaubernde fehlt
Vier Tage die Woche pendelt sie nach Nürnberg. „Es ist eine schöne Arbeit und die Zeit vergeht unwahrscheinlich schnell“, schwärmt Marina Gröner. Einziger Wermutstropfen: „Das Verzaubernde, Verspielte fehlt heutzutage in den modernen Aufführungen“, findet sie. Das sich berauschen lassen von den opulenten Ballkleidern von früher sei nicht mehr möglich. Und natürlich tue es einer Schneiderin in der Seele weh zu sehen, wie ein Kostüm, in dem so viele Arbeitsstunden stecken, „mit Kunstblut besudelt wird“.
Aber auch in ihrer Freizeit kommt sie nicht vom Schneidern los. Egal ob Kleidung für die Stupfler, Hauben für den Bauernhaufen oder Hemden für die Ritter des Jugendzentrums zum Heimatfest: Wenn in Schillingsfürst irgend etwas genäht werden muss, ist Marina Gröner die erste Adresse – für irdische wie himmlische Kunden gleichermaßen. mes