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Mehr als bloß lustige Wörter

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Symposium will Jenisch als Teil der kulturellen Identität Schillingsfürsts stärken

SCHILLINGSFÜRST – Sprache ist mehr als nur ein Mittel zur Kommunikation. In ihr manifestiert sich auch die Kultur einer Gemeinschaft. Sondersprachen und Dialekte sind allerdings vielerorts vom Aussterben bedroht. In Schillingsfürst versucht man mit einem alle fünf Jahre stattfindenden Symposium und dem verstärkten Einbezug von Kindern die jenische Sprache als Teil der eigenen kulturellen Identiät zu erhalten.

Die Schülerinnen der 4a haben dank ihrer Lehrerin Luise Bauer das „Schrabbe-Diplom“ im Jenischen gemeistert. Fotos: Scheuenstuhl

Die Schülerinnen der 4a haben dank ihrer Lehrerin Luise Bauer das „Schrabbe-Diplom“ im Jenischen gemeistert. Fotos: Scheuenstuhl

Aber auch im Alltag ist das Jenische in der Schloss-Stadt präsent. Egal ob Bäcker, Schuhladen, Arzt, oder Kirche: An einigen Gebäuden sind Tafeln angebracht, die an erster Stelle die jenische Bezeichnung des dort ausgeübten Berufs und danach in Klammern die Übersetzung auf Hochdeutsch wiedergeben. Jenisch auf Schritt und Tritt sozusagen.

Ein großer Förderer des Jenischen ist Dietmar André, der das Symposium im Rahmen der Heimattage moderierte. Er selbst kam 1948 im Kindesalter als Flüchtling aus Oberschlesien nach Schillingsfürst. Als Außenstehender habe er ein besonderes Ohr für die Unterschiede in der Sprache gehabt, meint der mittlerweile pensionierte Schulleiter aus Miltenberg. Als Gymnasiallehrer für Geschichte, Deutsch und Sozialkunde ist er prädestiniert dafür, sich tiefergehend mit der Sprache auseinanderzusetzen.

Nur mündlich weitergegeben

Das Jenische entstand als Geheimsprache und wird auch als Gaunersprache bezeichnet. Die fahrenden Völker haben es nur mündlich weitergegeben, um es Außenstehenden, wie etwa der Polizei, zu erschweren sie zu verstehen. Mit dem „Wörterbuch der Gauner-, Diebes- und Jenischen Sprache“ bekamen die Gesetzeshüter zwar Anfang des 20. Jahrhunderts ei­nerseits eine Hilfe für die Strafverfolgung. Andererseits bestand aber immer noch das Problem, dass sich die Gesuchten über eine der damals noch sehr zahlreichen Landesgrenzen schnell in Sicherheit bringen konnten.

jenisch und deutsch_onl

In der deutschen Linguistik wird Jenisch als Variante beziehungsweise Teil des Rotwelschen klassifiziert. Dieser Überbegriff setzt sich zusammen aus dem Wort für Bettler („rot“) und dem für eine fremdartige, unverständliche Sprache („welsch“). Hinter dem Begriff „Jenisch“, der eine Eigenbezeichnung der Sprecher ist, verbirgt sich die „Sprache der Eingeweihten, der Wissenden“.

Einfluss des Jiddischen

Das Jenische weist auch einen gewissen Einfluss aus dem Jiddischen auf. Mitte des 13. Jahrhunderts machte man die Juden zu Sündenböcke für die grassierende Pest. Sie wurden aufs Land vertrieben und zogen umher, wie Hilfsarbeiter, Mägde, Schreiner, Gewerbetreibende (Quacksalber und Reliquienverkäufer) und die Vertreter unehrlicher Berufe (etwa Henker), die vor die Stadtmauern verbannt wurden.

Nach Schillingsfürst kam das Jenische durch die Siedlungspolitik von Fürst Karl Albrecht im 18. Jahrhundert. Die Zuwanderer wurden im sogenannten „Schwarzen Viertel“ untergebracht, das heute noch durch die wesentlich kleineren Häuser zu erkennen ist. Der Vorteil eines festen Wohnsitzes war, dass der Heimatort sich um einen kümmern musste. Zumindest theoretisch.

Viele arme Familien litten dennoch große Not. Ein Ausweg: Sie setzten „Stupfl“, also Igel, auf ihren Speiseplan. Rezepte zu deren Zubereitung sind auch noch überliefert. Zusammen mit einem Hund zum Aufspüren der Tiere ging man nachts in den Wald. Das war mitunter ein gefährliches Unterfangen, wie eine Todesanzeige aus dem Jahr 1917 beweist. Ein Schillingsfürster Maurer zog sich um zwei Uhr nachts beim Sturz in einen Steinbruch einen Schädelbruch zu. Er hinterließ Frau und zehn Kinder.

Die frühe Sesshaftigkeit war für die Mitglieder der vormals fahrenden Völker in Schillingsfürst ein Segen, erklärt Dietmar André. Verschlimmerte sich doch die alltägliche Diskriminierung der Gruppen ohne festen Wohnsitz während des Dritten Reichs in gezielte Verfolgung und Ermordung. Der Roman „Nebel im August“ von Robert Domes erzählt mit der Lebensgeschichte des Ernst Lossa ein solches Schicksal. Vom Waisenhaus über ein NS-Erziehungsheim bis hin zur Heilanstalt führte die Odys­see des jugendlichen Jenischen.

Obwohl geistig völlig gesund, wurde Ernst Lossa als „asozialer Psychopath“, als unwertes Leben, abgestempelt und bekam 1944 die Todesspritze verabreicht. Auch aus der Gemeinde Fichtenau wurden fünf Jenische vom nationalsozialistischen Regime umgebracht. Jakob Kronenwetter, selbst Jenischer, setzt sich seit gut 25 Jahren dafür ein, dass die Sprache in seiner baden-württembergischen Heimat nicht ausstirbt. Zudem war er zusammen mit einigen Mitstreitern die treibende Kraft, dass 2014 in Fichtenau der erste Gedenkstein für Jenische eingeweiht wurde.

Für seinen Einsatz das Jenische als Kulturgut und Lebensweise zu erhalten, bekam er im vergangenen Jahr die Staufermedaille, eine persönliche Auszeichnung des Ministerpräsidenten für Verdienste um das Land Baden-Württemberg, verliehen. Drei Bücher, deren Erlöse er spendete, hat er bereits zu dem Thema geschrieben: „Das Reisen im Blut – über 100 Jahre Fichtenauer fahrende Leut’“, „Das sind Jenische – eine Minderheit erzählt“ und sein persönlichstes Werk über sich selbst mit dem Titel „Von Märkten und Messen. Das Leben eines Händlers“.

Das Schönste am Schillingsfürster Symposium, so Jakob Kronenwetter sei der Auftritt der Viertklässlerinnen gewesen, die ihr „Schrabbe-Diplom“ ablegten. Melissa Balogh, Leah-Marie Schultz, Shania Kuhlin, Nicki Winter und Kimberley Behne von der 4a der Schillingsfürster Grund- und Mittelschule bewiesen den zahlreichen Besuchern im Brunnenhaus, wie gut die jüngste Generation Frankemer mit der Sprache ihrer Eltern und Großeltern zurechtkommen kann. Unterstützt wurden sie dabei von ihrer Lehrerin Luise Bauer.

Jenisch in die Schulen

Das Jenische muss an die Kinder und Enkel weitergegeben werden, lautete die einhellige Überzeugung beim Symposium. Dietmar André hat zu diesem Zweck sieben Lektionen ausgearbeitet, die er den örtlichen Schulen zur Verfügung stellte. Darin enthalten ist auch ein Wortschatz mit den hundert wichtigsten noch gebräuchlichen Jenisch-Wörtern. Eine begeisterte Teilnehmerin des Symposiums regte an, dass man auch etwas in diese Richtung bei der Volkshochschule auf die Beine stellen könne.

Aus seiner eigenen Schulzeit weiß Dietmar André noch wie damals Jenisch vermittelt wurde. Sein Lehrer, Heiner Föttinger schrieb Ende der 50er Jahre drei Theaterstücke auf Jenisch, bei denen er mitspielte. Aus der Feder des Lehrers stammen auch das Jenisch-Lied sowie drei Strophen der Schillingsfürst-Hymne. Auch Fritz Grüber brachte Jenisch auf die Theaterbühne und Marianne Knoll schrieb das „Wiegenlied für a Frankemer Kind“.

Sprache mit Liedern bewahren: Die „Originale“ durften mit ihren musikalischen Jenisch-Beiträgen nicht fehlen.

Sprache mit Liedern bewahren: Die „Originale“ durften mit ihren musikalischen Jenisch-Beiträgen nicht fehlen.

Unterhaltsam und verbindend

Die „Schillingsfürster Originale“ zusammengesetzt aus Stupfler (Peter Hofmann), Kenzenweib (Renate Barthelmäß), Bettler (Fritz Bartelmäß) und Holzgehner (Rainer Kolb) sind eine Institution in der Schloss-Stadt. Auf dem Akkordeon begleitet von Waldemar Haffner zeigten sie beim Symposium musikalisch unter anderem mit den Liedern „Bischt mounisch bleibst haue“ und „Borsch mer schwäche, des schefft gwand“ wie unterhaltsam und verbindend die eigene Sprache sein kann.

Ebenso demonstrierten die beiden „Tratschweiber“ Andrea Gottschling und Elisabeth Lettow gekonnt, warum das Jenisch überhaupt erst entstanden ist: damit Gesagtes vor bestimmten Leuten geheim blieb; etwa wenn man wie die beiden genüsslich über das sonderbare Verhalten und die neumodischen Ideen bestimmter Leute der damaligen und heutigen Schillingsfürster Gesellschaft lästern möchte. Bürgermeister Michael Trzybinski kündigte am Ende der Veranstaltung an, dass zum Thema Jenisch einiges in Planung ist. mes


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